CHARLES DAVID KELMAN


Augenarzt, Musiker, Visionär und Erfinder
OPHTHALMOLOGIST OF THE CENTURY

CHARLIES ERSTE LIEBE: DIE MUSIK

Charles David Kelman, 1930 in Brooklyn, N.Y., geboren hatte viele Talente.


Medizin war sicherlich nicht seine erste Liebe, denn die galt der Musik. Ganz früh lernte er bereits Mundharmonika, später Saxophon und Klarinette.

In der Swing-Ära aufgewachsen träumte er als Teenager davon in einer großen Tanzband mitzuspielen und berühmt zu werden.

Seine Eltern unterstützen ihn zwar, aber nur Musik war ihnen wohl zu wenig. Charlie war 17, als sein Vater ihn fragte:

Charlie, it's your live. But what you wanna be? You can be an entertainer or an saxophone player or whatever you want, but first - you'll be a doctor.

CHARLIES STUDIENZEIT

Eher seinem Vater zuliebe begann er zunächst an der Forest Hills High School zu studieren.

Musicals zu komponieren machte ihm allerdings mehr Spaß und entsprechend waren seine Studienergebnisse.

Er wechselte zur Boston Tufts University, wo er in nur 6 Monaten 1950 mit einem B.Sc. abschloss.

In Genf begann er dann Medizin zu studieren.

MEDIZINSTUDIUM IN GENF

Auch in der Schweiz machte Charlie weiterhin Musik, er spielte in Clubs, komponierte, arbeitete nebenbei bei einem Radiosender und veröffentlichte sogar einen Song: „Le petit déjeuner“, der später von Jean Sablon, einem bekannten französischen Sänger und Schauspieler produziert wurde.

1953 erhielt Charlie die schlechte Nachricht, dass sein Vater an Krebs erkrankt sei. Zwei Jahre später starb dieser. Der Tod seines Vaters war ein Wendepunkt in Charlies Leben und spornte ihn an sein Studium in kürzester Zeit zu beenden.

1956 war er fertig.

Auf der Schiffspassage zurück nach Amerika sollte sich die Augenheilkunde für immer verändern …

Von der Band wurde Charlie eingeladen ein paar Stücke mit ihnen zu spielen. Er erzählte später:

A well-dressed man came up to me and asked to play my sax. That was an odd request, because you don’t ordinarily let someone play your sax. You do have to put it on your lips, after all. But I decided it would be OK. I later found out he was an ophthalmologist from Poughkeepsie, N.Y., named Sid Miller. When he found out I was an med student, he asked me to watch him perform at his practice.

Charles Kelman nahm das Angebot an und besuchte Sid Miller in seiner Praxis.

He wanted me to take over his practice someday and marry his daughter. I didn’t do either. However, we always stayed friends.

DER ANFANG: AUGENARZT UND MUSIKER

Nach seinem Besuch bei Sid Miller beschloss Charles Kelman Augenarzt zu werden.

Das erschien ihm als guter Kompromiss zwischen seiner Karriere als Arzt und als Musiker:

als "kleines Fach" würde ihm die Augenheilkunde genügend Zeit für seine Jazzmusik lassen.

Seine Facharztausbildung absolvierte Kelman am Kings County Hospital in Brooklyn und am Wills Eye Hospital in Philadelphia.

1960 eröffnete er in New York seine eigene Praxis.

Musikerkarriere als Kerry Adams

Charlie machte weiterhin Musik, schrieb Songs und verschickte Demotapes an Plattenfirmen. Mit seinem „Telephone Numbers“ hatte er Erfolg. Der Song wurde unter dem Pseudonym Kerry Adams produziert und wurde ein Hit.

Der Beginn einer großen Karriere als Musiker schien möglich ...

Das Ende von Kerry Adams

A dance craze called the twist came along and changed the pop music scene.Charles Kelman in einem Interview später.

Die Karriere war beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Als Musiker würde er nicht mehr berühmt werden, vielleicht aber als Augenarzt …


Von nun an konzentrierte sich Charles Kelman auf die Augenheilkunde.

VISIONÄR UND ERFINDER

Die Entfernung des Grauen Star in den frühen 1960er Jahren

Von Beginn an suchte Charles Kelman nach einer Methode, die damals übliche Methode (ECCE = Extrakapsuläre Kataraktextraktion) zur Entfernung der Katarakt zu vereinfachen.

Denn für die Patienten bedeutete die OP: großer halbkreisförmiger 180°-Hornhautschnitt unter Vollnarkose, mind. 8 Nähte für den Wundverschluss, Krankenhausaufenthalt für mehr als 10 Tage mit absoluter Immobilität und Ruhigstellung in den ersten 3-5 Tagen.

Die Sehkraft kam erst Monate später zurück.

Das Problem bei der ECCE ist nicht die Entfernung der Linse an sich, sondern die große 180°-Inzision.
Kelman suchte deshalb nach einer Lösung, die Linse durch einen kleinen Schnitt entfernen zu können.

Kelman Cryo Stilett

Erste Erfolge hatte Kelman mit dem Einsatz von Kälte in der Katarakt-Chirurgie.

Nachdem Kelman die Publikation des Neurochirurgen Irving Cooper über den Einsatz einer Kältesonde bei Parkinson-Behandlung gelesen hatte, fragte er sich, ob das Verfahren nicht auch für die Katarakt-Chirurgie geeignet wäre.

In Dr. Coopers Labor gelang ihm die Entwicklung einer geeigneten Sonde: The Kelman Cryo Stilett. Damit war es ab 1962 möglich durch einen kleineren Schnitt den kompletten Linsenkern anzufrieren und in einem Block zu entfernen.

Statt ECCE war nun die weniger traumatische Intrakapsuläre Kataraktextraktion (ICCE) möglich.

Dr. Cooper erkannte das Potential der von Kelman entwickelten Technik. Er wollte den Erfolg für sich ausschlachten, trennte sich von Kelman und setzte für die Weiterentwicklung einen reputierteren Wissenschaftler ein. Charlie wurde einfach übergangen.

Diese bittere Erfahrung erklärt vielleicht das spätere Misstrauen und die Geheimniskrämerei Kelmans besonders in der Anfangsphase der Entwicklung der Phakoemulsifikation.

3 Jahre erfolglose Forschung

Trotz der bitteren Enttäuschung ließ Charles Kelman nicht locker.

Er wollte unbedingt das Instrument entwickeln, mit dem es endlich möglich wäre, die getrübte Linse zu zerstören und durch einen kleinen Schnitt zu entfernen.

Von der John A. Hartford Foundation erhielt ein Stipendium über 250.000$. Trotz intensiver Entwicklung und endloser Tierversuche gelang es ihm nicht ein geeignetes Instrument zu entwickeln. Die von ihm entwickelten faltbaren Netze funktionierten nicht, Miniaturbohrer und -instrumente zerstörten im Tierversuch während der Kataraktextraktion wichtige Strukturen im Auge.

Seine mittlerweile zur Besessenheit gewordene Suche blieb trotz intensiver Forschung erfolglos. Seine äußere Erscheinung und die Pflege der Zähne hatte Kelman während dieser Zeit vernachlässigt und bevor er wegen einer Verlängerung der Fördermittel nachfragte konnte ein Besuch beim Zahnarzt nicht schaden...

Aber dann... Heureka


I sat in his chair, as he reached over, took a long silver instrument out of its cradle and turned it on. A fine mist came off the tip but the tip didn't seem to be moving. He applied the tip to my teeth, and I felt an exquisite vibration an heard a high-pitched sound. What is that thing? An ultrasound probe... I KNEW THIS WAS THE MOMENT.

Im Stuhl seines Zahnarzt sitzend hatte Charlie die zündende Idee, die die Kataraktchirurgie revolutionieren sollte:
Das Entfernen der blinden Augenlinse durch einen schmalen Spalt nach Verflüssigen des Kerns mittels Ultraschall.

Als er kurze Zeit später mit einer frisch extrahierten Kataraktlinse zu seinem Zahnarzt zurückkommt, machte er eine bemerkenswerte Beobachtung: Der schwingende Ultraschalltip dringt in das Gewebe ein und fräst Rillen, die Linse springt dabei aber nicht aus der Hand oder rotiert im Kapselsack wie es bei allen anderen vorher entwickelten Instrumenten der Fall war.

DIE PHAKOEMULSIFIKATION


Der erste Versuch unter vollkommener Geheimhaltung




Eine der ersten gelungenen Operationen

Von nun an setzte Charlie alles daran mit dem ursprünglich für die Plaque-Entfernung vorgesehenen Cavitron–Gerät die erste Phakoemulsifikations-Maschine zu bauen. Mehrere Jahre lang entwickelte und verbesserte er das Gerät und testete die Methode an Katzen- und menschlichen Leichenaugen.

1967 fühlte sich Charlie bereit den ersten Versuch an einem blinden Auge zu wagen. Der Patient war damit einverstanden zum Wohle der Wissenschaft notfalls auch sein Auge zu verlieren. Der Eingriff wurde unter größter Geheimhaltung an einem Samstag durchgeführt, die OP-Türen waren abgeschlossen die Fenster verhängt. An der Tür hing ein Schild: Infektionsgefahr! Nicht betreten.

Der gesamte Eingriff dauerte über 4 Stunden, die Emulsifikation selbst ca. 70 Min. Der Phako-Handgriff war extrem schwer, Kelmans Hand ermüdete schnell, so dass er öfters Pausen einlegen musste. Die Hornhaut kollabierte mind. 70x während er OP, weil das Verständnis für notwenigen die Druckverhältnisse im vorderen Augenabschnitt noch vollkommen fehlte. Letztendlich verlor der Patient sein Augenlicht.

Zwei weitere Jahre forschte und verbesserte Charlie seine Maschine weiter, dann wagte er erneut zu operieren. Bei drei weiteren Eingriffen lernte Charlie schnell, er verbesserte nach jedem Mal die Technik und optimierte die Prozedur.

Mit seinem vierten Eingriff war er endlich erfolgreich. Damit niemand seine Idee wie bei der Kryoextraktion für sich beanspruchen konnte, meldete er die Phakoemulsifikation als Patent an. Mit Cavitron traf er ein Arrangement zur Entwicklung eines marktreifen Geräts.

ZEIT DER KONTROVERSEN

1967 wurde die Phakoemulsifikation im American Journal of Ophthalmology erstmals beschrieben (Phaco-emulsification and Aspiration - A New Technique for Cataract Removal):

Anstatt eines großen Einschnitts in das Auge zum Entfernen der kompletten Linse genügt ein schmaler. Mit Hilfe einer Ultraschallsonde wird das Innere des Kerns zertrümmert, die Reste werden anschließend abgesaugt.

Ab 1970 begann Kelman damit seine Methode bekannt zu machen. Die meisten Operateure hatten niemals zuvor ein OP-Mikroskop für die Katarakt-OP benutzt. Deshalb war es nötig, dass Charlie den ersten Kursteilnehmern das korrekte handwerkliche Vorgehen und den Umgang mit den verschiedenen Geräten akribisch genau demonstrierte – ein absolutes Novum in der Kataraktchirurgie.

Kelman vermied zunächst Veröffentlichungen in großen Fachzeitschriften. Die ersten Teilnehmer seiner Trainingskurse kamen über Mund-zu-Mund-Proganda zu ihm und waren ausschließlich in privaten Praxen und nicht an Universitäten tätig.

Als die großen akademischen ophthalmologischen Institutionen schließlich registrierten, was Charlie tat, reagierten sie negativ. Phako wurde als "Kunstfehler" und "lächerlich" abgetan und viele warnten vor möglichen langfristigen Auswirkungen auf die Hornhaut.
Das National Eye Institute erklärte die Phakoemulsifikation gar als „experimentell“.

Infolgedessen verweigerten die Krankenversicherungen die Kostenrückerstattung für das Verfahren.

Natürlich eckte Charlie auch mit seiner speziellen Art an: Seine konservativen Kollegen mochten sein Gehabe nicht. Er selbst sprach von sich als "No. 1 ophthalmologist". Schüchternheit war nicht Charlies Natur.

Charlie was the ultimative extrovert. But he was a guy who really produced. Dr. D. Finkelstein – John Hopkins Institute

Dr. I. Howard Fine, Professor für Augenheilkunde am Casey Eye Institute, Oregon Health and Science University erinnert sich:

Charlie told me this and I never forgot it:
'If you tell people you've got something new. They'll say it won't work. If you show them it works, they'll say it's not useful. If you show them it's useful, they'll say it's not new. '
In the history of medicine, innovators have always been denounced by the establishment, and Charlie Kelman probably took more abuse than anyone. When he was trying to get phaco accepted, some doctors were practically making a career of saying that Charlie Kelman was a dangerous man offering patients a dangerous procedure. In reality, it was a great procedure that had to be learned and mastered by skillful surgeons."

Die Situation eskalierte schließlich: man setzte während eines wichtigen ophthalmologischen Kongresses einen Mann mit einem Schild um den Hals in die Nähe des Eingangs. "I was blinded by phaco“ war darauf zu lesen.

Mangelnde Anerkennung

In den frühen Tagen unterstützten nur sehr wenige Augenärzte die Phakoemulsifikation.

Auf dem walisischen Katarakt Symposium 1973 veröffentlichte eine Reihe Chirurgen ihre angeblich schlechten Erfahrungen mit der neuen Technik, Aussagen von Patienten sollten die schlechten Ergebnisse bestätigen. Leider waren die meisten der Kommentatoren selbst keine Phako-Chirurgen.

1974 gründete die American Academy of Ophthalmology (AAO) ein Komitee, das die Phakoemulsifikation mit der konventionellen intrakapsulären Kataraktchirurgie vergleichen sollte. Die Ergebnisse wurden auf der jährlichen Sitzung später im Jahr veröffentlicht. Die AAO-Studie besagte, dass die Phakoemulsifikation zwar genau so gut wie, aber nicht besser als die konventionelle Chirurgie sei.

Die Phakoemulsifikation als Standardmethode wurde deshalb nicht zugelassen.

Charlie hatte eine eigene statistische Überprüfung der Ergebnisse organisiert. Er war überzeugt von der Richtigkeit dessen, was er tat, die von ihm geschulten Anwender ebenfalls.

Er organisierte Lehrveranstaltungen zur Phakoemulsifikation am Mt. Sinai-Hospital in New York und beschloss etwas zu tun, das noch nie zuvor in der Medizin getan worden war - direkt an die Öffentlichkeit zu gehen.

Er wollte seine Technik den zweifelnden Kollegen in einer Art Schocktherapie vorführen.

Am 21. Februar 1975 erschien Charlie auf der Tonight Show mit Johnny Carson, der renommiertesten Talkshow im US-Fernsehen zu dieser Zeit. Charlie machte nicht nur gekonnt Witze, er spielte auch Saxophon und überzeugte als Medienprofi. Charlies Bekanntheit stieg über Nacht, die zweifelnden Kollegen konnten ihn nicht länger ignorieren.

DIE VERDIENTE ANERKENNUNG

Der Siegeszug der Phako

Ab 1975 begann Kelman parallel zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Phakoemulsifikation mit der Entwicklung von Kunstlinsen, die nach Entfernung der Katarakt die Brechkraft des Auges wiederherstellten und den Patienten ultradicke Brillengläsern ersparte.

Erst mit der Entwicklung der ersten faltbaren IOL durch Thomas R. Mazzocco in den frühen 1980er Jahren begann sich die Phakoemulsifikation langsam als Standardmethode durchzusetzen.

Bis zum Ende der 1980er Jahre standen genügend faltbare Kunstlinsen zur Verfügung, sodass immer mehr Chirurgen die Kataraktextraktion in der Small-Incision-Technik vornehmen konnten. 

Auszeichnungen

Während der 1990er Jahre erhielt Charlie schließlich die Anerkennung für die Entwicklung der Phakoemulsifikation, die die Kataraktchirurgie so grundlegend verändert hatte.

Im Jahr 1992 erhielt er dafür von US-Präsident George H.W. Bush die National Medal of Technology.

2004 wurde er in die National Inventors Hall of Fame eingeschrieben, eine weitere Anerkennung für den „Ophthalmologist of the Century“.

Charlie privat

Charlie blieb aktiv und ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus.

Außerhalb der Augenheilkunde suchte er neue Herausforderungen:
Er blieb der Musik treu, wurde ein geachteter Amateurjazz-saxophonist und –klarinettist, er spielte mit Jazzgrößen wie Lionel Hampton und Dizzy Gillespie, er hatte seine eigene Show in einem Kasino in Atlantic City, er lernte fliegen und kaufte sich einen Helikopter und nahm Golfunterricht bei einem professionellen Trainer.

Weitere Forschungen

Charlie suchte aber auch kontinuierlich nach neuen Wegen zur Entfernung einer Katarakt.

Er beschrieb einen innovativen Einsatz von Elektromagneten zum Aufbrechen der Katarakt.
Er schlug auch vor aus körpereigenem Kollagen ein Gel zu entwickeln, das in die leere Kapsel gefüllt werden könne.

Er entwickelte eine Technik zur Entfernung kleiner Tumoren für die Onkologie, bei der er den Einsatz von Kälte und Ultraschall kombinierte.

ZUSAMMENFASSUNG

In der Augenheilkunde wird die Phakoemulsifikation heute weltweit und fast ausschließlich als Standardmethode angewandt. Die Entfernung der Katarakt kann innerhalb von ca. 5-10 Min. ambulant meist in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Kleinste Schnitte reichen aus, um anschließend faltbare Linsen in die Kapsel implantieren zu können. 

Der Verdienst Kelmans ist gar nicht hoch genug anzusetzen, wenn man bedenkt, dass ca. 50% der über 65jährigen eine Katarakt entwickeln, die operativ behandelt werden muss.

Die Entwicklung der Phakoemulsifikation war zugleich der Beginn der minimalinvasiven Techniken. Sie wurde weiterentwickelt und wird heute z.B. bei der Entfernung von Gallenblasen, Tumordissektionen in der Neurochirurgie, bei der Lumpektomie oder Bandscheiben-OP angewandt. 


Grundlage der Story ist Charles D. Kelmans Autobiographie und Film "Through My Eyes - Die Charlie Kelman Show"